Die VVN in Westberlin

Mühsamer Anfang

Die Auflösung der VVN in der DDR und im Osten Berlins Mitte Februar 1953 stellte die VVN im Westen Berlins durch den Wegfall der Berliner Leitungs- und Arbeitsstrukturen vor erhebliche Probleme. Zunächst führten die Westberliner Bezirksverbände ihre Tätigkeit weiter, dann übernahm bis zur Delegiertenkonferenz am 31. Mai 1953 eine provisorische Leitung die Arbeit.

Politische Ausgrenzung

Im Klima des Kalten Krieges, insbesondere unter dem Charakter der „Frontstadt“ Berlin, wurde VVN-Mitgliedern mit der Behauptung, „Anhänger eines totalitären Systems“ zu sein, vom Senat die Anerkennung als Opfer des Faschismus und Entschädigungszahlungen als Verfolgte abgesprochen. Diese Verfolgung und Ausgrenzung konnte um so leichter gelingen, da die Ost-West-Konfrontation,  keine Zwischentöne mehr zuließ, sondern nur noch ein „Entweder-Oder“.

War die Mitgliederzahl der VVN in Westberlin schon im Rahmen der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen der vorangegangenen Jahre stark zurückgegangen, so machte diese “Stockschläge-auf-den-Magen“– Politik, wie sie der damalige Innensenator Lipschitz (SPD) nannte, vielen Mitgliedern Angst, dass sie allein wegen ihrer Organisierung in der VVN ihren Arbeitsplatz oder die Rentenzahlung verlieren könnten, und sie führte zu großer Verunsicherung und Existenzangst. Vielen Mitgliedern wurde die Lebensgrundlage im Westteil entzogen, und bei vielen sank der Mut, sich öffentlich zur VVN zu bekennen, was zu Austritten und einer empfindlichen Schwächung der Organisation führte und eine Verengung des politischen Spektrums bedeutete. Tatsächlich war damit eine kommunistische Dominanz in der VVN eingetreten, die erst nach der Öffnung der VVN 1977 zum „Verband der Antifaschisten“ allmählich zurückging.

Gedenken und Erinnern

Die von der VVN durchgeführten Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Faschismus am zweiten Sonntag im September wurden in den fünfziger und sechziger Jahren wiederholt behindert. Im September 1963 zwangen Polizisten die Teilnehmer, schon am Eingang zur Gedenkstätte Plötzensee die Schleifen von den Kränzen zu entfernen. Später hefteten die Teilnehmer diese Schleifen wieder an die Kränze, worauf die Polizei sie herunterriss.

In den siebziger und achtziger Jahren wurden die Gedenkveranstaltungen der VVN in Plötzensee von einem breiten Bündnis getragen.

Der Berliner Verfolgtenverband begrüßte den Aufbau von Mahn- und Gedenkstätten auf dem Gelände ehemaliger Konzentrationslager des Nazi-Regimes. Zahlreiche VVN-Mitglieder nahmen an den Eröffnungsfeiern in der Gedenkstätten Buchenwald (1958), Ravenbrück (1959) und Sachsenhausen (1961) teil. Es waren bewegende Augenblicke, als sich nach Jahren Überlebende des Konzentrationslagers Ravensbrück wiedersahen und sich in die Arme schlossen. VVN-Mitglieder, Überlebende aus den Konzentrationslagern, die das Lagerleben und den Terror der SS mit grausamen Schikanen in Sachsenhausen erlebt hatten, berichteten in zahlreichen Begegnungen jungen Menschen über ihre Erlebnisse und auch über die Solidarität der Häftlinge. Der Kampf um die Wiedergutmachung an den Opfern des Siemens-Zwangsarbeitslagers im KZ Ravensbrück wurde 1997 von jungen Antifaschistinnen und Antifaschisten im “Aktionsbündnis 150 Jahre Siemens – Entschädigung jetzt“, in dem auch die VVN-VdA aktiv vertreten war, aufgegriffen.

Öffnung

Ein wichtiger Einschnitt in der Geschichte der VVN war 1977 die Öffnung der Vereinigung zum “Verband der Antifaschisten“. Westberliner, die weder Nazi-Verfolgte, Hinterbliebene oder Widerstandskämpfer waren, insbesondere jüngere Antifaschistinnen und Antifaschisten schlossen sich nun der VVN an. Die historische Erfahrung der Zeitzeugen verband sich mit der politischen Motivation und Überzeugung neuer Mitglieder, antifaschistische Arbeit zu leisten, und brachte einen neuen Aufschwung in die Organisation.

Doch die Integration der neuen Mitglieder in die politische Arbeit war ein schwieriger und mühsamer Prozess. Widerstände und Misstrauen gegen die “Neuen“ galt es bei so manchem älteren Kameraden oder Kameradin zu überwinden, und nur in einem gemeinsamen Lernprozess war es möglich, die Vorbehalte aufzubrechen.

Zunächst kam man wöchentlich zur “Jugendgruppe“ zusammen. Viele Ideen für politische Aktivitäten wurden entwickelt und in die Tat umgesetzt, wie Veranstaltungen zum “Widerstand im Arbeitersport“ oder zum Majdanek- und Lischka-Prozess, Flugblattaktionen, Mahnwachen in Erinnerung an Hiroshima am 6. August an der Gedächtniskirche, Fahrten nach Sachsenhausen oder Bildungsabende zu Themen wie: “Faschismus und bürgerliche Gesellschaft“.

Gemeinsam mit älteren Kameradinnen und Kameraden traten die neuen Mitstreiter bei Veranstaltungen anderer Organisationen auf, stellten Info- und Büchertische auf, standen Verfolgte des Naziregimes und die Jungen gegen Nazitreffen, gegen ausländerfeindliche und rassistische Übergriffe zusammen. Schon bald übernahmen die jüngeren Mitglieder Funktionen und Verantwortlichkeiten innerhalb der VVN-VdA. Auch die Galerie Olga Benario ist ein Kind dieser Öffnung.

Gegen das Vergessen

Die Arbeit in den Bezirken galt der Betreuung der Mitglieder und dem Kampf um ihre Wiederanerkennung als Opfer des Faschismus. Hinzu kam die Pflege der Gräber und Gedenktafeln, die oft mehrfach entfernt und beschmiert wurden. Immer wieder wandte sich die VVN gegen das politische und historische „Vergessen“ und bemühte sich, die Geschichte des antifaschistischen Widerstandes in seiner ganzen politischen Breite zu vermitteln und über faschistische Verbrechen und die Täter aufzuklären.

In einem sich verändernden gesellschaftlichen Klima gelang es der VVN, eine wichtige Stimme des Antifaschismus in außerparlamentarischen Bewegungen zu werden. Frauen und Männer aus dem Widerstand nahmen nunmehr über Ausstellungen, Dokumentationen, Publikationen, vor allem aber als Zeitzeugen Einfluss auf das Geschichtsbild eines Teils der jüngeren Generation. Auch der von der Schulsenatorin Laurin (CDU) initiierte Senatsbeschluss, im Jahre 1982 in Schulen und Jugendgruppen keine VVN-Zeitzeugen mehr auftreten zu lassen, konnte dies nicht verhindern.

In der Jugend wuchs das Bedürfnis, mehr über die jüngste Geschichte zu erfahren. Die Gedenk- und Besichtigungsfahrten des Landesjugendringes mit VVN-Zeitzeugen durchbrachen die politische Ausgrenzung gegen die VVN-VdA und trugen dazu bei, dass nach einem von der Alternativen Liste eingebrachten Beschluss im Abgeordnetenhaus vom 27. Juni 1985 VVN-Zeitzeugen wieder von Schulklassen und Jugendgruppen eingeladen werden konnten. Nicht zuletzt war auch ein Ergebnis dieses zähen Ringens, dass ein Entschädigungsfonds für Naziverfolgte, denen in den 50er Jahren wegen ihrer VVN- oder SED-Zugehörigkeit die Entschädigung entzogen worden war, geschaffen wurde.

Die Aufarbeitung der bezirklichen Geschichte von Verfolgung und Widerstand während der Nazidiktatur war in den achtziger Jahren wesentlicher Bestandteil antifaschistischer Arbeit der VVN-VdA. Sie fand viel Zuspruch. In einigen Bezirken wurden Ausstellungen und Broschüren unter Einbeziehung von Mitgliedern der VVN erarbeitet. Im Herbst 1981 veröffentlichte ein Autorenkollektiv unter Leitung der Widerstandskämpfer Emil Ackermann und Wolfgang Szepansky die mit jungen Antifaschisten erarbeitete Broschüre „Erlebte Geschichte – Arbeiterbewegung und antifaschistischer Widerstand in Tempelhof“. Dieser ersten Bezirksbroschüre folgten weitere: 1983 in Reinickendorf und Wilmersdorf, 1984 Tempelhof, dann Kreuzberg, Steglitz und 1987 in Neukölln und eigene Ausstellungen zum Widerstandskampf.

Für das im Rahmen der 750-Jahr-Feier Berlins im Jahre 1987 ausgeschriebene „Berliner Gedenktafelprogramm“ zur Ehrung namhafter Bürger und Bürgerinnen in den Bezirken brachte die VVN zahlreiche Vorschläge zur Ehrung hingerichteter Widerstandskämpferinnen und –kämpfer ein.

International

Unsere Organisation war Mitglied der Internationalen Förderation der Widerstandskämpfer (FIR), und der langjährige Vorsitzende der VVN-VdA, Heinz Schröder, war Mitglied des Büros der FIR. Als 1983 die Auseinandersetzungen um die Gestaltung des Geländes des ehemaligen Prinz-Albrecht-Palais, der berüchtigten Gestapo-Zentrale, begannen, erfuhr die VVN-VdA als Mitglied des “Aktiven Museums“ die praktische Unterstützung der FIR. Sie unterstützte in Briefen an den Regierenden Bürgermeister Westberlins und an den Bezirksbürgermeister von Kreuzberg die Forderung nach der Errichtung einer ständigen Ausstellung auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände.

Krise – Umbruch – Aufbruch

Die “Wende“ brachte einschneidende Veränderungen für die VVN-VdA, nachdem die finanzielle Unterstützung, die der Verband aus der DDR erhalten hatte, entfiel. Ein kollektiv arbeitender Vorstand übernahm die Geschäfte. Die Organisation musste angesichts fehlender Zuschüsse, zurückgehender Mitgliederzahlen und politischer Resignation finanziell und politisch auf eine neue Basis gestellt werden.

Lebhafte Kontakte entstanden zu den im Jahre 1990 in Ostberlin entstandenen Basisgruppen des Bundes der Antifaschisten (BdA). Es war zugleich ein mühsamer Prozess der Annäherung, der zahlreiche Diskussionen zu auseinandergehenden Einschätzungen und Positionen einschloss, entstanden aufgrund von unterschiedlichen Erfahrungen. Jedoch fanden wir zusammen. Die VVN-VdA gehört als Kreisorganisation der Berliner VVN-BdA an, die wiederum ein Landesverband der bundesweit organisierten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten ist.

Autor: Peter Wegner,